Ansprüche aus Dienstverhältnis, welches angeblich ein Scheingeschäft gewesen sei (OGH 8 ObA 6/18t)
15. Juli 2015Die – von unserer Kanzlei vertretene – Klägerin begehrte Ansprüche aus einem Dienstverhältnis. Der Beklagte behauptete unter anderem, das Dienstverhältnis sei nicht aufrecht und als Scheingeschäft zu betrachten. Wir konnten der Klägerin zu ihrem Recht verhelfen und bis zur letzten Instanz ihre Ansprüche durchsetzen. Lesen Sie hier die gesamte Entscheidung des OGH…
VOLLTEXT DER ENTSCHEIDUNG
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch KS Kiechl Schaffer Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. K*****, vertreten durch Mag. Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, wegen 6.700 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. November 2017, GZ 10 Ra 87/17p 19, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf:
1.1 Ein Urteil, das auf einer Parteiendisposition über den geltend gemachten Anspruch beruht und dem daher keine Sachverhaltsermittlung durch das Gericht zugrunde liegt, ist in gleicher Weise der materiellen Rechtskraft teilhaft wie ein Urteil, das nach einem kontradiktorischen Verfahren gefällt wurde; es kommt ihm daher die gleiche Bindungswirkung zu (RIS-Justiz RS0120239). Wesentlich für eine solche Bindung ist jedoch, ob der von der Parteiendisposition (hier: Anerkenntnis) umfasste Anspruch auch die Hauptfrage darstellte, die im Folgeprozess Vorfrage ist, weil nur die Haupt-, nicht aber eine Vorfragenbeurteilung des Vorprozesses bindet (2 Ob 161/06z; vgl RIS-Justiz RS0039843; RS0041142).
Jeweils im Einzelfall ist konkret zu prüfen, worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RIS Justiz RS0127052 [T5]).
1.2 Im vorliegenden Fall wurde mit Anerkenntnisurteil vom 31. 3. 2014 im aus Anlass der Kündigung des Beklagten vom 5. 12. 2013 zum 31. 12. 2013 von der Klägerin angestrengten früheren Verfahren festgestellt, dass das zwischen der Klägerin und dem Beklagten seit 1. 5. 2002 bestehende Dienstverhältnis als Ordinationsangestellte im Umfang von 25 Stunden wöchentlich nach wie vor unbefristet aufrecht ist. Damit wurde als Hauptfrage des früheren Verfahrens über den Bestand des Arbeitsverhältnisses abgesprochen. Die Unwirksamkeit der Kündigung als solche ist nicht feststellungsfähig (RIS-Justiz RS0039036; RS0038804).
2.1 Davon ausgehend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, mit diesem Anerkenntnisurteil sei insofern bindend für die Parteien ein aufrechtes Dienstverhältnis festgestellt worden, als sich der Beklagte nicht im Widerspruch dazu darauf berufen könne, dass zwischen den Parteien ein Dienstverhältnis niemals wirksam begründet worden sei, weil „stets“ ein nichtiges Scheindienstverhältnis vorgelegen habe, nicht korrekturbedüftig.
2.2 Weder mit den Einwänden, es sei von den Parteien nie ein Arbeitsverhältnis gewollt gewesen und die Klägerin habe seit August 2007 keine Arbeiten verrichtet, noch mit dem Hinweis auf den Betriebsübergang vom 1. 10. 2006 zeigt der Beklagte auf, dass dieses als seit 1. 5. 2002 aufrecht festgestellte Dienstverhältnis zwischen den Parteien nach dem 31. 3. 2014 beendet worden wäre.
2.3 Das Vorliegen einer Zustimmung des Behindertenausschusses nach § 8 Abs 2 BEinstG zu der Anlass dieses Verfahrens bildenden Kündigung vom 27. 5. 2016 zum 31. 7. 2016 behauptet der Beklagte gar nicht. Er beruft sich bloß darauf, dass er gegen den seine Anträge vom 12. 1. 2015 (auf nachträgliche Zustimmung, in eventu Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung) zurückweisenden Bescheid des Behindertenausschusses vom 22. 4. 2016 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben habe, über die noch nicht entschieden worden sei. Mangels Zustimmung ist aber nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz die Kündigung rechtsunwirksam (RIS-Justiz RS0052626), und die vom Revisionswerber dem Berufungsgericht als Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit angelastete Außerachtlassung des noch anhängigen Verwaltungsverfahrens ohne Bedeutung.
2.4 Die Ansicht des Beklagten, die Kündigung bedürfe nach § 8 Abs 6 lit b BEinstG keiner Zustimmung des Behindertenausschusses, sei das Dienstverhältnis doch allenfalls erst mit Anerkenntnisurteil vom 31. 4. 2016 konstitutiv begründet worden, setzt sich wiederum über die der rechtskräftigen Feststellung des seit dem Jahr 2002 aufrechten Dienstverhältnisses innewohnende Bindungswirkung hinweg.
3. Die Bestimmungen der § 49 Abs 6 ASVG und § 7 Abs 1 IESG, die rechtsmissbräuchliche Parteiendispositionen zu Lasten der Versichertengemeinschaft bzw des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds unterbinden sollen (vgl VwGH 2001/08/0160; 8 ObS 1/16d), sind im vorliegenden Zusammenhang nicht analogiefähig. Im Unterschied zu Dritten fehlt hier den Prozessparteien, auf deren Disposition das Anerkenntnisurteil beruht, die – eine Durchbrechung der Bindungswirkung rechtfertigende – Schutzwürdigkeit.
4. Die Frage, inwieweit das Gericht vor Erlassung eines Anerkenntnisurteils auf eine allfällige Gesetz- oder Sittenwidrigkeit von Amts wegen Bedacht zu nehmen hat (vgl Deixler-Hübner in Fasching/Konecny Bd III² [2004] § 395 ZPO Rz 9), stellt sich insoweit bei einem bereits rechtskräftig erlassenen Anerkenntnisurteil nicht mehr.
5. Dem Beklagten, der als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt, das Berufungsgericht habe sich nicht mit seinem Einwand befasst, er habe sich – offenkundig anlässlich des Vorprozesses – in einem von der Klägerin veranlassten Irrtum über das Bestehen eines Dienstverhältnisses befunden, ist auch zu entgegnen, dass privatrechtliche Irrtumsvorschriften nicht auf prozessuale Erklärungen – z. B. Anerkenntnis – angewendet werden können (RIS-Justiz RS0016251; zuletzt 3 Ob 56/11y).